Gebäude
Die gläserne Fassade der Haupthalle von Saint-Gobain. Dieses Foto entstand aus dem Busfenster heraus. Foto: Paesler

In Mannheim doch noch die Fabrik

Luzenberg / Waldhof. Vor drei Jahren gab es in der Spiegelstraße einen kleinen Stadtteilrundgang. Thema war die bevorstehende Schließung von Saint-Gobain. Bei der Gründung der Spiegelfabrik 1853 hatte es sich um die Initialzündung zur Industrialisierung Mannheims gehandelt.

Eine Teilnehmerin 2020 wusste, dass das Badnerlied darauf anspielt: „Zu Karlsruh’ ist die Residenz, in Mannheim die Fabrik.“ Die Fabrik – damit meine das Lied die Spiegelfabrik, die „Spiggl“. Wir überschrieben unseren Bericht daraufhin „In Mannheim nicht mehr die Fabrik“. Heute schreiben wir anders – siehe Überschrift.

Beim Bürgerworkshop nun war der Auftakt eine Besichtigungsfahrt über das Firmengelände. Drei Busse mit rund 120 Interessierten fuhren durchs Haupttor ins Gelände Richtung Norden ein, bogen dann nach Westen ab und schlugen einen Bogen um die Gebäudegruppe. Dabei kamen die Fahrzeuge an der gläsernen westlichen Fassade der großen Halle entlang, deren oberen Teil man auch von der Sandhofer Straße aus sehen kann. Im letzten Drittel der Rundfahrt bekam man Eindrücke vom Sukzessionswald, der auf dem nördlichen Teil des Geländes entstanden ist, und konnte Blicke auf einige historische Firmengebäude erhaschen.

Anschließend tagte man im Kulturhaus Waldhof. Bürgermeister Eisenhauer gab bei seiner Begrüßung ein paar Stichworte vor, die in zurückliegenden Besprechungen schon genannt worden waren: bedarfsgerechtes Schulangebot, Freiflächen, Wohn- und Arbeitsstandort. Ihn interessierte auch die Zusammensetzung der Anwesenden; etwa ein Drittel war zum ersten Mal dabei, ungefähr je ein Drittel war als Bewohner von Luzenberg und Waldhof gekommen und der Rest aus anderen Stadtteilen. Die große Überraschung des Abends war, dass Matthias Zenner aus der Rechtsabteilung von Saint-Gobain den Mannheimer Bürgern eröffnete, seine Firma wolle den Standort nun doch nicht ganz aufgeben.

Auffällig betont war in seiner Präsentation kurz zuvor von nachhaltigem Bauen und CO2-Neutralität die Rede gewesen. Unvermittelt wurden dann zwei Tochterfirmen namentlich genannt. „Brüggemann“ baue mit Holz in flexibler Modulbauweise, „Pre.Formance“ biete serielle Sanierung von Mehrfamilienhäusern durch vorgefertigte Fassadenelemente. Anschließend sprach Zenner von der sogenannten Solarhalle, die 2007 erbaut worden war und noch in gutem Zustand sei. Beabsichtigt sei eine neue Nutzung dieser und der daneben liegenden Halle. Nur das übrige Gelände stehe noch zum Verkauf. Sein Vortrag dauerte 12 Minuten.
Der neue Umstand wurde zur Kenntnis genommen, keiner der Zuhörer fragte nach.

Der Abend war sehr gut moderiert und nahm seinen geplanten Verlauf. Dr. Hanno Ehrbeck, Leiter des Fachbereichs Geoinformation und Stadtplanung, referierte die bisherigen Überlegungen zur städtebaulichen Gestaltung des Geländes. Im Zentrum der Darstellung „... und wie es weitergeht“ stand ein sogenanntes Leitbild der Stadt, das zur Grundlage der folgenden Beratungen wurde. In vier moderierten Gruppen waren die Bürger eingeladen, zu den Themen „Stadtteile verbinden“, „Umwelt und Freiraum“, „Wohnen und Arbeiten“ und „Bildung, Betreuung und Freizeit“ Fragen zu stellen, Einwände zu äußern und Vorschläge zu machen.

Bürgerwünsche aus 2021 hatten sich auf Erhalt des Sukzessionswaldes, gemischte Bebauung mit Wohnen und Gewerbe, eine Fuß- und Fahrradverbindung zwischen Luzenberg und Alt-Waldhof, Erhalt alter Gebäude, Zugang zum Altrhein und Schutz der Vereinsgelände gerichtet. Im Wesentlichen wurden diese Äußerungen wiederholt und weiterentwickelt. Beim auf dem Gelände gewachsenen Sukzessionswald wurden verschiedene Szenarien angesprochen. Ihn zugänglich machen? Das hieße, ihn (aus Gründen der Verkehrssicherungspflicht der Stadt) aufzuräumen. Ihn (in Teilen) in einen Park verwandeln? Das hieße, ihn dauerhaft einer Pflege zu unterwerfen mit der Frage, ob die Stadt das leisten kann. Die Diskussion ging hier durchaus ins Detail.

Ins Detail gingen auch die Beiträge von Paul Hennze, NABU, den Anwohnern Kornelia und Hans-Jürgen Graczyk und Jürgen Kurtz von der Bürgerinitiative Waldhof West. Ihre Nachfragen bezogen sich auf ein ornithologisches Gutachten vor 20 Jahren, das eine sehr große Artenvielfalt an Vögeln festgestellt hatte; die Graczyks bestätigen das bis heute. Ja, ein neues Gutachten werde erstellt, bestätigte Ehrbeck – und zwar so, dass es nicht veraltet sei, „wenn es so weit ist“.

Das Gutachten zu den Altlasten in den Bodenproben sei besser ausgefallen als erwartet und könne eingesehen werden. Messungen 2010 hatten ergeben, dass an heißen Sommertagen in den bewaldeten Bereichen von Saint-Gobain die Temperaturen mehrere Grad niedriger lagen als in der umliegenden Wohnbebauung. Im Oktober 2021 hatte der Ausschuss für Umwelt und Technik den einstimmigen Beschluss gefasst, die Stadtklimaanalyse 2020 künftig für alle planerischen Prozesse als Planungsgrundlage zu verwenden. jp

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